15. Mai 2023

Warum dir David Lynch Filme helfen, dich auf herausfordernde Zeiten vorzubereiten

Filme sind etwas Großartiges. Dieses wunderbare Medium vereint viele kreative Disziplinen miteinander und verbindet sie zu einem Schauspiel, einem Gesamtkunstwerk, das uns berührt.

Wir sehnen uns nach Geschichten — unter anderem, weil unser Gehirn darauf programmiert ist, Narrativen zu folgen. Sprich, Denken in Geschichten ist gehirngerecht.

Eine Frage bevor du weiterliest: Wenn du „Film“ hörst, an welchen musst du zuerst denken?

Meine erste Assoziation war Jurassic Park. Ein klassischer Hollywoodblockbuster. Dieser Film fällt für mich in eine Kategorie die ich spontan „emotionale Warmwasser-Filme“ nennen würde. Aus dem einfachen Grund, da Steven Spielberg und sein Team genau wissen, wie man die emotionalen (Glücks)Gefühle des Publikums aufdrehen kann. Jurassic Park ist eine schöne nachvollziehbare Geschichte, nach der man mit einem zufriedenen Gefühl im Bauch aufstehen kann. Und das meine ich gar nicht wertend. Pure Unterhaltung ist etwas enorm Wertvolles, da sie uns spüren und fühlen lässt. Solche Filme haben Suchtpotenzial, daher gibt es ja so viele Sequels von diesem Klassiker. Aber diese Art von Film ist wie eine warme Dusche: Super angenehm und aufwärmend, aber sie rüstet den Körper nicht. Und in VUCA Zeiten, haben es mentale Warmduscher eher schwer.

David Lynchs Filme hingegen sind wie eine kalte Dusche. Unangenehm. Es kostet fast Überwindung einen anzuschauen (sofern man weiß was auf einen zukommt), aber es stärkt das mentale Immunsystem enorm. Warum ist das so? Und was hat das mit herausfordernden Zeiten zu tun?

David Lynch Filme zwingen dich anders zu denken

Um das zu verstehen, müssen wir einen kurzen Exkurs in die Filmpsychologie unternehmen: Slavoj Žižek, der Kultphilosoph und Theoretiker der lacanianischen Psychoanalyse erklärt, dass wir nicht mit Begierden geboren werden. Diese vermittelt uns die Kultur. Und Film ist eines der stärksten Kulturmedien die wir haben, da es die Kraft hat, uns emotional tief zu berühren. Wir begehren das, von dem uns erzählt wird, dass wir es begehren sollen. Es tut gut, sich diesem Umstand bewusst zu machen. Klassische Hollywoodfilme sind darauf aus Kapital zu schlagen und gehen daher wenig Risiken ein. Nur was nachweislich funktioniert wird auf die Leinwand gebracht. Dadurch ist Filmgeschichte auch immer ein Spiegel der jeweiligen kulturellen Phase. Man denke an den 30er Klassiker Der Zauberer von Oz mit dem bekannten Satz „There is no place like home“. Eine Geschichte über ein Mädchen, das in eine bizarre Wunderwelt geschleudert wird und nur nach Hause möchte. Zurück in ihre klassische Rolle. Die Begierde: „Die große weite Welt ist voller Gefahren. Bleib lieber daheim, bei deinen Eltern und Bekannten, denn da bist du sicher und da ist dein Platz.“

Filmemacher wissen, was in der Gesellschaft resonanzfähig ist. Deswegen hat Disney mehr und mehr non-white Charaktere in seinen Filmen. Nicht weil Disney ein besonders ethisches Unternehmen ist, sondern weil die Macher wissen, was aktuell resonanzfähig ist.

Als Kontrast dazu blicken wir auf die Arbeit von David Lynch. Er arbeitet total anders. Er denkt nicht daran, was sich gut vermarkten lässt oder was auf jeden Fall ankommt. Nein. In einem Podcast von Russell Brand erzählt er von seiner Arbeitsweise. Diese sei geprägt von Tagträumen und somit dem Zugang zur Tiefe seines Unterbewusstseins. Hat er eine Idee, eine Inspiration, die er aus sich herauszieht, spinnt er sie weiter, ohne eine logische oder narrative Ordnung zu befolgen. Zuerst sind die Symbole da, dann die Symbolik, nicht umgekehrt.

Für diejenigen unter euch, die noch nie einen David Lynch Film gesehen haben, muss man sagen, seine Filme sind meist skurril und bizarr. Es ist nicht möglich, das Gefühl in Worte zu fassen, was ein Lynch-Film in einem auslöst. Genauso wenig, wie man beschreiben kann, wie sich ein Traum angefühlt hat. Man kann es versuchen, aber so ganz bekommt man es nicht vermittelt. Und genau darin liegt die vitalisierende Stärke seiner Filme: sie zwingen einen anders zu denken. Wer nur mit Logik und Verstand die Filme greifen möchte, kann nie in die Tiefe des Ausdrucks tauchen, die in ihnen stecken. Man kann vieles logisch nicht nachvollziehen; das ist schier unmöglich. Sobald man sich jedoch darauf einlässt und mit Bauchgefühl und Intuition „denkt“, so versteht man etwas auf einer non-verbalen Ebene. Das ist wie mit dem Kalt-Duschen. Wenn man sich erstmal auf das kalte Wasser eingelassen hat, dann ändert sich etwas im Körper. Immer zu denken „es ist kalt, es ist kalt, es ist kalt“ hält einen davon ab den Kältegenuss zu erleben. So verhält es sich auch mit Lynchs Filmen: Der Gedanke „das macht keinen Sinn, das macht keinen Sinn, das macht keinen Sinn“ verdeckt den Zugang zu dem tieferen nicht-rationalen Verständnis, das in uns allen wohnt.

Überforderung als Default-Modus

Diese Fähigkeit ist in komplexen Zeiten vielleicht eine der wichtigsten. Der Autor und Journalist Dirk von Gehlen, weist in seinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ darauf hin, dass Überforderung nicht die Ausnahme, sondern der Default-Modus unserer Zeit ist. Überforderung bedeutet m.E. auch, einen Sachverhalt nicht erfassen zu können. Komplexität lässt sich nicht mit dem Verstand greifen. Es hilft daher sich auf diese Überforderung einzulassen und ehrlich zu sagen: „ich verstehe die Welt nicht aber das muss ich auch nicht“. Mir ist klar, wir haben die natürliche Tendenz Dinge verstehen zu wollen. Haben wir etwas begriffen, fühlen wir uns gleich ein wenig sicherer. Daher gibt es ja Menschen die die wildesten Verschwörungstheorien glauben. Diese sind leicht zu greifen und nehmen die ganze Komplexität aus dem System raus. Dann fühlt sich das Chaos schon etwas geordneter an.

Vielleicht ist auch gerade die Schwäche in unserem System, dass wir nie gelernt haben unsere Intuition und Gefühle zu nutzen. Der rationale Geist ist das Objekt der Begierde. Darauf weist selbst eine sexuelle Orientierung namens Sapiosexualität hin, in der Menschen sich zu Gehirn-Muskelpaketen hingezogen fühlen. Man begehrt es, weil man lernt es zu begehren. Wissen macht sexy. Keine Frage: Wissen ist wichtig und Denken ist wichtig! Doch es ist eben nicht alles. Das menschliche Potenzial ist vielfältiger.

In unserer Kultur verwickelt sich diese Fähigkeit leicht, und zwar durch die Annahme, dass die Menschheit eine ökonomische Einheit sei (Stichwort Homo oeconomicus). Guess what, that‘s not true.

Daher lade ich dich ein, diese Fähigkeit zu entwickeln und eine kalte Filmdusche zu nehmen. Es wird ganz sicher unangenehm werden. Es kommen Gefühle hoch, nach denen man nicht gefragt hat. Man wünscht sich den Hahn auf Spielberg-Warm zu drehen. Doch lässt man sich erstmals darauf ein, so wird man belohnt mit einem ganz eigenen Glücksgefühl. Man hat es nicht verstanden, aber man hat es gefühlt — geil! So trainiert man ein Potenzial, das resistent macht, gegen den Versuch alles verstehen zu wollen — was schon immer unmöglich war und es auch in Zukunft sein wird. In komplexen Zeiten ist diese Fähigkeit wichtiger denn je. Ich habe keine Ahnung, aber ich fühle es.

Meine Lynch-Empfehlungen zum Schluss: Eraserhead und Mulholland DriveEnjoy!

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Rouven B. Hills

Digitaler und Systemischer Designer
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