Vor einiger Zeit stolperte ich über ein Video der Bahlsen-Erbin Verena Bahlsen, in dem Sie bei einem öffentlichen Auftritt zu sehen ist. In diesem Ausschnitt spricht sie, unter anderem, über das Thema Nachhaltigkeit. Wichtiges Thema; löblich das die junge Erbin sich in einem konservativen Unternehmen dafür stark machen möchte. Eine ihrer Aussagen: langfristig sei Weltverbessern wirtschaftlich. Grundsätzlich ist das ein Satz, mit dem ich übereinstimmen würde, wenn auch aus einer anderen Perspektive betrachtet. Ich glaube sogar, dass Nachhaltigkeit wirtschaftlicher werden muss — und nicht im neo-kapitalistischen Sinne der Gewinnmaximierung für Reiche, sondern als Teil des Wandels, der eine neue Maxime bereithält. Soweit so gut. Was mich jedoch irritierte, war eine Aussage wenig später. Sie schmückt sich damit, dass sie Kapitalistin sei und fügt hinzu: „Ich will Geld verdienen und Yachten kaufen[…], alles andere juckt mich nicht und find ich auch relativ langweilig.“. Und genau hier muss man vorsichtig sein. Wer (neo)-kapitalistische Vorstellungen in eine nachhaltig, „weltverbesserische“ Hülle wickelt, der verbessert die Welt nicht, sondern hält an dem zerstörerischen wirtschaftlichen Denken fest, das letztlich Teil des Problems ist; der Grund, warum wir so viele Herausforderungen haben, vorallem auf sozialer und ökologischer Ebene. Der Neo-Kapitalismus stützt sich im Kern auf 3 Mantras: Privatisierung, Steuersenkungen und Sozialstaatsabbau. Wir haben uns an einen Glaubenssatz gewöhnt, der da lautet „wenn es den Reichen gut geht, geht es allen gut“. Dass diese These falsch ist, wurde bereits des Öfteren belegt. Dennoch scheint dies weiterhin die gesellschaftliche und politische Maxime zu sein. Milton Friedman, der einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts, brachte es fertig, mit einem einzigen Artikel in der New York Times die weltwirtschaftliche Sicht auf entfesselte Märkte und die Gewinne der Aktieninhaber zu lenken. Kleiner Zwischenkommentar zu Friedman: er wird oft mit seinem Gewinn des „Wirtschaftsnobelpreises“ beschmückt. Hier muss man jedoch deutlich machen, dass der sogenannte Wirtschaftsnobelpreis kein echter Nobelpreis ist (offiziell heißt er „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“). Dieser Preis wird von der schwedischen Reichsbank vergeben, die mit der Nobelstiftung nicht in Verbindung steht. Nobel hat sich Zeitlebens mit Ökonomen schwergetan und verlangte ausdrücklich, dass er nur angewandte Wissenschaften auszeichnen möchte, keine Sozialwissenschaften. Jeder Gewinner sollte sich daher bedeckt halten, sich mit dieser Auszeichnung politische Einflussnahme zu versprechen, so wie Friedman es tat. Friedmans Gedanken, haben genau zur gegenteiligen Wirkung geführt. Zinsen sind seit den 60er Jahren kontinuierlich gesunken. Wie gefährlich seine Gedanken waren, zeigte auch sein fatales Real-Life-Experiment in Chile. Hier erreichte Friedman, unter der Herrschaft von Pinochet, das seine neo-liberalen Sichtweisen zur schlimmsten ökonomischen Krise in Lateinamerika geführt haben. Und genau hier möchte ich auf ein paar Punkte genauer eingehen: Wer wirtschaftlich denkt, denkt beschränkt. Wir sind besessen von rationalen Wirtschaftsmodellen, die versuchen in einem abgeschirmten System eigene Logiken und „Naturgesetzte“ zu erstellen. Wie auch Christian Felber, Pionier der Gemeinwohlökonomie, es in seinen Werken treffend beschreibt, ist diese Sozialwissenschaft mittlerweile zur Ideologie geworden, die in ihrem Denken fast immer den ökologischen Kontext ausschließt. Das nimmt solche Züge an, dass unternehmerische Entscheidungen auf Basis von ausgedachten Wirtschaftsmodellen basieren, als Sicherungsanker verwendet werden. Natürlich scheitern Entscheidungen, die auf diesen Grundlagen getroffen wurden gelegentlich; jedoch ist häufig niemand darüber entrüstet, da hier allgemein anerkannte Theorien angewandt wurden. Sprich, wenn ein Manager sagt „hat zwar nicht funktioniert, aber so sagt es der Wirtschaftsleitfaden“, dann reagieren die Stakeholder mit einem „Ah, ok wenn das so ist...“. Dieser Sachverhalt ist sehr paradox, vor allem wenn man berücksichtigt, dass wir in einer rational dominierten Welt leben und man hier ideologische Grundsätze wie heilige, unantastbare Glaubenssätze behandelt. Ich will hier gar nicht das Scheitern verurteilen, das ist wichtiger Teil des Weges zum Erfolg. Doch diese Sichtweise grenzt andere Modelle und Herangehensweisen komplett aus, die genauso sicher oder unsicher sind, wie gängige Wirtschaftsmodelle. Es braucht in Unternehmen mutige Führungskräfte, die sich trauen, neu zu denken. So weisen zum Beispiel die Neurobiologie, wie auch die Psychologie, schon seit Langem darauf hin, dass man Denken, Fühlen und Handeln wieder zu einer Einheit verschmelzen sollte. CG Jung entwarf dazu ein Model, in dem er das menschliche Bewusstsein in Denken (Ratio, zu der auch die Wissenschaft zählt), Fühlen, Intuition und Empfinden gliederte. Sprich, wenn wir uns zu einseitig in der Ratio aufhalten, so nutzen wir eben nur ein Teil unseres Spektrums und verschenken unglaubliches Potenzial. „Systeme jeglicher Art versuchen immer sich auszugleichen.“ Es empfiehlt sich an dieser Stelle, sich mit systemischem Denken auseinanderzusetzen und die Kontexte zu betrachten, in die ein Unter-System eingebettet ist. Hier finden sich vielfach erforschte Gesetzmäßigkeiten, wie die Werke von Donella H. Meadows beispielsweise belegen. Ihre Arbeit zeigt, dass Systeme, jeglicher Art, immer versuchen sich auszugleichen bzw. Ungleichheiten zu beheben und das ein System in einem anderen System eingebettet ist. Eine Ungleichheit finden wir auf Kapitalebene wieder. Das Systemische Denken fehlt scheinbar ganz. Felbers Argumentation, dass das Wirtschaftssystem sich im Kontext mit anderen Systemen (insbesondere dem Ökosystem) sehen muss, schließe ich mich also voll und ganz an. Nehmen wir doch nur das Beispiel der Firma Bahlsen: Hier handelt es sich um einen Produzenten von Süßwaren, der absolut von Naturprodukten abhängig ist: Kein Weizen, keine Kakaopflanze, keine Kekse. Klar. Wenn nur einer der vielen Inhaltsstoffe ausfällt, dann leidet die Herstellung der Ware und wir haben ein Problem im Raum der Ökologie. Was verstehen wir eigentlich unter Ökologie und Ökonomie? Oikos bedeutet Haus, bzw. Haushalt. Logos bedeutet „Das Studium der…“. Daniel C. Wahl argumentiert, dass die Rolle der Ökologie eine tiefere Auseinandersetzung mit Leben im „Haushalt“ ist — und der Mensch ist Teil dieses Haushalts. Die Kombination von Oikos und nomos, was so viel heißt wie Regel oder Gesetz, impliziert dass es die Rolle der Ökonomie sei, geeignete Regeln zu finden, um den Haushalt zu managen, so Wahl. In anderen Worten: Man muss sich mit dem Haushalt, dem Ökosystem auseinandersetzen und sich um ihn kümmern. So profitieren der Mensch und die Welt, in der er lebt. Gewinnmaximierung auf Kosten der Umwelt, kann und darf daher keine herrschende Maxime sein, da es den Zustand des Haushalts nicht berücksichtigt. Selbst aus den Reihen der Ökonomen gibt es Bewegungen die das genauso sehen und auf die ich mich in dem Text auch beziehe. Es lohnt sich Denkern wie Niko Paech zu lauschen und sich von Andersdenkenden inspirieren zu lassen. Die vielleicht aktuell relevanteste Sicht ist die, dass wir in Zukunft lernen müssen, mit weniger zu leben. In Corona-Zeiten merken viele Menschen erstmals, was überhaupt wichtig ist, und was redundant. Wenn wir alle von allem weniger konsumieren, verbrauchen wir auch weniger und es entsteht ein Freiraum, in dem wir uns auf uns selbst und die Dinge, die uns wirklich wichtig sind, zurückbesinnen können. Wie oft höre ich momentan aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, dass diese aktuelle Corona-Entschleunigung — so nervig sie sein kann — Wachstumsraum gibt, durch die Auseinandersetzung mit Themen, für die man vorher nie Zeit hatte. Hier entstehen viel Potenzial und Kreativität. Da kommt mir ein Spruch eines Nachhaltigkeitsforschers in den Sinn: Entschleunigung beschleunigt. Was hat das nun mit der Eingangsaussage zur Nachhaltigkeit zu tun? Wer „Weltverbesserung“ verkaufen will (mir widerstrebt diese Formulierung), der soll auch bitte die Welt verbessern. Anders ausgedrückt, einen Wandel mitgestalten. Ein Wandel aber kann nur funktionieren, wenn man das Bestehende loslässt. Einstein sagte einmal, dass die Denkweise die zu einem Problem führte, nicht zu ihrer Lösung beitragen kann. In dieser Aussage liegt sehr viel Wahrheit. Das ist natürlich schwer in der Praxis umzusetzen, da es uns abverlangt, von angeeignetem Wissen loszulassen. Wer Nachhaltigkeit verkauft, muss neue Wege gehen und neu denken. Living on the egde of uncertainty. Dennoch denke ich, es macht hier Sinn, sich an den Ursprung des Kapitalismus nach John Lock zurückzuerinnern: Kapitalismus, nach seiner Idee, war es, gewonnenes Kapital wieder zurück in die Firma zu investieren, um den Betrieb weiter aufzubauen und zu unterstützen. Wer sich hingegen eine Yacht in Monaco leisten möchte, der investiert vor allem in ein System, welches das Ego füttert, und Eco ausblendet (man erinnere sich an Bahlsens Aussage „alles andere ist mir relativ egal“). Wie kommen wir vom Ego- ins Eco-System? Wer sich mit Otto Scharmers Theory U auseinandergesetzt hat, weiß, dass es genau diese Fragestellung ist, die diesen bemerkenswerten Ökonomen und Wissenschaftler umtreibt. Scharmer’s Leistung, in einem wissenschaftlichen Umfeld eine Theorie salonfähig zu machen, die zum Teil spirituelle Elemente enthält, ist eine große Errungenschaft (Spiritualität ist das Gegenteil von Religiosität). Selbst seine Kritiker (z.B. Prof. Dr. Kühn) sehen in seiner Wandlungstheorie für Führungskräfte die Chance, dass im Zeitalter der Überforderung, in dem es für komplexe Themen keine bzw. kaum gesicherte Wege gibt, erarbeitete Lösungsansätze mit einem gewissen Halt umgesetzt werden können. Der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann sagte einmal, dass jeder Wissenschaftler auch ein Mystiker sei. Da ist sicherlich was Wahres dran. „Kühner als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.“ — Alexander von Humboldt Warum hat das BIP so eine wichtige gesellschaftliche Stellung? Welche alternativen Werte gibt es, um den Wohlstand einer Gesellschaft aufzeigen zu können? Auch hier ist deutlich zu sagen, dass die Entwickler des BIP, nie im Sinn hatten, dass diese Zahl einen solchen Stellenwert bekommt. Diese Gewichtung ist künstlich geschaffen worden. Im Kontext des Wandels, muss man sich also die Frage stellen: Wie können wir anderen Werten eine wichtigere Stellung einräumen? Der psychischen und physischen Gesundheit der Menschen oder dem Zustand der Ökosysteme, zum Beispiel. Einige Worte zum Thema Nachhaltigkeit Auch wenn die Bahlsen-Erbin den Begriff nicht direkt benutzte, so steckt er doch zwischen den Zeilen. Ich denke, man muss unterscheiden zwischen Nachhaltigkeit als Marketing- bzw. Modewort und Nachhaltigkeit als Sprungbrett zur Gestaltung eines Wandels. Verena Bahlsen und weitere Unternehmer nutzen Nachhaltigkeit als Marketingbegriff, aus der Perspektive des „Business as usual“. Man erinnert sich: Sie sprach sinngemäß von „Geld verdienen“ und „alles andere ist nicht interessant“. Hier sind Konsumenten in der Pflicht, Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen. Was ist der Zweck hinter dem Begriff, wie authentisch ist dessen Verwendung? Geht es um Wandel oder weiterhin um Gewinnmaximierung? Es empfiehlt sich zu schauen: was macht die Firma neben dem Verkauf ihrer Produkte? Was erzählt sie (Storytelling) und was macht sie wirklich (Storydoing)? Hier merkt man schnell, wie ernsthaft Nachhaltigkeit gelebt wird — oder eben nicht. Wer sich mit dem Thema Nachhaltigkeit tiefer auseinandersetzt, bemerkt unweigerlich, dass Nachhaltigkeit nicht genug ist. Nachhaltigkeit wird in der öffentlichen Diskussion sehr durch die CO2-Brille heraus gesehen. CO2 ist ein Problem und darüber muss gesprochen werden, keine Frage. Jedoch blendet es andere Umweltprobleme total aus. Der Kulturphilosoph Charles Eisenstein wagte einmal ein Gedankenexperiment, in dem er sagte: „Man stelle sich vor, die Wissenschaftler hätten sich getäuscht mit der Annahme CO2 führe zur Erderwärmung.“ Selbst in diesem Szenario könnten wir nicht so weitermachen wie bisher. Wir verzeichnen ein beispielloses Artensterben, eine Zerstörung von Landschaften und Ökosystemen. Sein Vorschlag ist es, die CO2 Brille abzulegen und die „Living Earth“ Brille aufzusetzen. Die Menschheitsfamilie als ReGeneration Nachhaltigkeit ist nicht genug. Der transformative Innovator Daniel Christian Wahl beschreibt in seinen Werken, dass wir bereits zu viel zerstört haben; da reicht ein Nullsummenspiel nicht aus. Er setzt sich für das Ziel ein, regenerative Kulturen aufzubauen. Sprich, wie kann ich eine Kultur erschaffen, die mehr gibt, als sie nimmt — um das mal ganz vereinfacht auszudrücken. Ein Ansatz, den ich voll und ganz unterstütze. Es lohnt sich daher, die gesamte Menschheitsfamilie als ReGeneration wahrzunehmen, von dem du, als Leser, natürlich auch ein Teil bist. Du bist Teil der ReGeneration. Was ich persönlich an diesem Begriff spannend finde, ist, dass er uns alle verbindet. Wo die Aufteilungen in Generation Z, Y und Boomer uns in unterschiedliche Schubladen stecken und damit das Narrativ der Separation nährt, ist der Begriff ReGeneration einigend. Und wie uns die moderne Quantenphysik beweist, sind wir alle ein großer zusammenhängender Organismus. Wenn ein Teil fehlt, so bricht alles zusammen (Kein Weizen, keine Kekse). Um es in Thich Nhat Hanh‘s Worten auszudrücken „We are not Beings, we are Interbeings”. Aktuelle Studien deuten übrigens darauf hin, dass wir weltweit nur ca. 60 Jahre Äcker bewirtschaften können, falls wir den Agrarbetrieb nicht total umstellen. Auch das ist eine Frage der Nachhaltigkeit. Eine Yacht 2020 ist ohne Essen im Jahr 2080 nichts mehr Wert. P.S. Was mir an dieser Stelle wichtig ist: Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich sei gegen Verena Bahlsen und würde sie kritisieren, um die eine richtige Wahrheit zu teilen. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass es bei diesen komplexen Themen mehrere Wahrheiten gibt, die alle ihre Berechtigung haben und gehört werden müssen. Auch Gegensätzliches kann gleichzeitig richtig sein. Es ist in meinen Augen eine kulturelle Aufgabe, mehrere Ansichten aushalten zu können und abzulassen von der Denkweise „Es gibt nur eine richtige Antwort“.
Bahlsens Aussage beinhaltet den klassisch neo-kapitalistischen Ansatz der Selbstbereicherung des Egos. Die Yacht in Monaco beispielsweise. Kapitalismus ist per se nichts Verwerfliches und ich möchte ihn auch nicht verteufeln.